Er verbarg sich und er verbarg sich doch nicht!

Für uns Christen ist das Kreuz sehr bedeutsam und ich kenne viele Gläubige, denen ihr Kreuz in der eigenen Wohnung ganz wichtig ist. Viele haben auch zum Altarkreuz in der Heimat-Pfarrkirche seit ihrer Kindheit eine besondere Beziehung.

Doch wer in den kommenden Tagen eine offene katholische Kirche zum Gebet aufsuchen kann oder über die Medien die Heilige Messe mitfeiert, sieht wie die Kreuze verhüllt sind. Dies hängt mit dem morgigen 5. Fastensonntag (früher auch „Passionssonntag“ genannt) zusammen. Dieser Sonntag markiert eine weitere Phase der Fastenzeit. Mancherorts sind bereits Kreuze oder Hochaltäre seit Aschermittwoch durch die Hungertücher verdeckt, wie z.B. auch in unseren Kirchen. So hat vor allem das derzeitige Hungertuch viele, auch evangelische Christen, sehr angesprochen.

Aber seit fast 1000 Jahren gibt es den Brauch, dass Kreuze und Bilder mit meist violetten Tüchern gut 2 Wochen vor Ostern verhüllt werden. Warum? Muss die sichtbar menschliche Gestalt unseres Gottes verborgen werden? Raubt man uns hier nicht den tröstlichen Blick auf den Herrn, vor allem in der aktuellen Zeit der Krise?

Ein Blick in die Bibel als Grund für diese Aktion gibt nur eine Deutung. In früheren Jahrhunderten wurde am 5. Fastensonntag immer aus dem Johannesevangelium (Joh 8, 51-59) gelesen, wo Jesus spricht: „Noch ehe Abraham, wurde bin ich“. Daraufhin wollten ihn die Juden steinigen, doch Jesus verbarg sich und verließ den Tempel. Dies geschah etwa ein halbes Jahr vor seiner Kreuzigung.

Jesus verbarg sich also, aber er verbarg sich doch nicht. Denn seine Stunde war noch nicht gekommen. Er ging einfach woanders hin, nämlich dorthin, wo ihn Pharisäer, jüdische Gelehrte oder Hohepriester nicht finden konnten. Und dort heilte er Kranke, war den Menschen nahe oder holte seinen Freund Lazarus ins Leben zurück. Jesus verbarg sich, aber er versteckte sich nicht.

Ein weiterer Ursprung des Verhüllens liegt auch darin, dass es damals fast nur „Triumphkreuze“ gab, also mit einem herrlich-triumphierenden Christuskörper. Denn ganz bewusst sollte am Karfreitag, also bei der Enthüllung des Kreuzes, dieser Sieger über den Tod betrachtet werden. Dies war für die Gläubigen des Mittelalters ein großer Trost! Hierbei schien im Karfreitag bereits Ostern durch. Als aber die Epoche der Romanik endete und die Gotik aufkam entstanden immer mehr Leidenskreuze, wie wir sie bis heute kennen. Jesus ist verwundet und sterbend dargestellt. Sicher hatte der Ausbruch der Pest auch zu dieser Wende beigetragen. Die Menschen, die zunehmend unter Leid, Seuchen, Krankheiten und Kriegen litten, erhielten durch ein Leidens- oder Passionskreuz ebenso viel Trost, denn der leidende Christus kennt den Schmerz der Menschen. 

Ich entdecke in diesen Tagen die Einladung, das Kreuz Jesu wieder neu zu betrachten, ob mit oder ohne Verhüllung. Jesus verbirgt sich nicht, er ist da! Die Kreuze in unseren Räumen und Wohnungen wollen ein Zeichen seiner Nähe sein. Wenn sich Staub darauf angesammelt hat, dann ist jetzt auch wieder Gelegenheit sie abzustauben, denn nächste Woche können wir sie mit einem gesegneten Palmzweig schmücken. 

Einen guten und gesegneten Tag,

Henrich Liesen, Kpl.