Die Christen leben wie Gänse auf einem Hof

Die Christen leben wie Gänse auf einem Hof. An jedem siebten Tag wird eine Parade abgehalten, und der beredsamste Gänserich steht auf einem Zaun und schnattert über das Wunder der Gänse. Er erzählt von den Taten der Vorfahren, die einst zu fliegen wagten, und lobt die Gnade und Barmherzigkeit des Schöpfers, der den Gänsen Flügel und den Instinkt zum Fliegen gab.
Die Gänse sind tief gerührt, senken in Ergriffenheit die Köpfe und loben die Predigt und den beredten Gänserich.
Aber das ist auch alles. Eines tun sie nicht: Sie fliegen nicht, denn das Korn ist gut und der Hof ist sicher.
Sören Kierkegaard

Geht es uns in unserem Seelsorgebereich und in unsere Kirche momentan nicht tatsächlich zu. Die „Rückkehr zur Normalität“ wird propagiert, aber – um in der Sprache von Kierkegaards Parabel zu bleiben – die Parade wird kleiner, denn ein Teil der Gänse muss im Stall bleiben, weil sie zu der Risikogruppe gehören. Es wird also keine Normalität sein, so wie so vor der Coronazeit war.

Wenn wir unsere gesamte Gesellschaft betrachten, stellen wir ernüchtert fest, dass es eine „Gänse-Gesellschaft“ ist, denn auch dort ist momentan nichts von einem Aufbruch, von neuen Wagnissen und Versuchen, von einem Neuanfang zu spüren.

Großkonzerne, wie die Lufthansa und die Bahn, erhalten Milliardenhilfen, um mehr oder weniger so weiter zu machen wie bisher. Die Lufthansa bietet weiterhin klimaschädliche Inlandsflüge an und festigt ihre führende Marktposition mit Zustimmung des Gänserichs (Bundesregierung). Die Bahn darf investieren, muss / soll aber gleichzeitig Personal abbauen. Das alles zielt wohl nicht darauf hin, dass Pendler und Kurzreisende in den Regionalzügen davon profitieren werden, sondern wiederum eher die Fernreisenden in den ICE-Zügen. Alles wie gehabt, kein Risiko, kein Neuanfang.

Vor etwas über einer Woche haben wir das Fest Christi Himmelfahrt gefeiert, ein Fest, das die Zusage von dem auferstandenen Christus beinhaltet „“Ihr seht mich vielleicht nicht, doch seid Euch sicher, ich bin immer bei Euch.” Nun feiern wir das Pfingstfest, das Fest des Heiligen Geistes, der uns befähigt, „hinaus in die Welt” zu gehen, sie zum Guten hin zu verändern“

Diese beiden Zusagen des menschenliebenden und schöpferischen Gottes können uns helfen, die Zeit der Corona-Pandemie zu meistern und als eine Chance zu einem Neuanfang zu sehen.
Dass sich in dieser unglaublich schnell fortschreitenden Zeit Nachrichten überschlagen und wir genau prüfen müssen, welcher Geist hinter welcher Botschaft steckt, dürfte inzwischen jedem deutlich geworden sein.

Aber vielleicht sehen wir auch auf uns. Sollten wir nicht die Fähigkeit der Gänse zu schnattern, mit unserem menschlichen Verstand und unseren Wünschen und Träumen nutzen, um wieder mehr in eine Kommunikation zu treten und uns Mut zu machen, Alternativen zu den Paraden und zu den Gewohnheiten zu finden.

Ich wünsche uns diese zwei Stützen: die Himmelfahrts-Gewissheit, nicht allein durchs Leben zu gehen und alles immer alleine schultern zu müssen. Und das Pfingst-Geschenk des Heiligen Geistes: der mich befähigt, aktiv zu werden, die Welt zu verändern – mit klarem Verstand und in festem und lebendigen Glauben.

Thomas Willms