Wir sind im Mai und nach katholischer Tradition wird Maria, die Mutter Jesu, in diesem Monat besonders verehrt. Nun hatte ich vor zehn Tagen den guten Hirten thematisiert, doch heute möchte ich kurz über das weibliche Gegenüber nachdenken: „Die göttliche Schäferin“. Ja, auch sie gibt es! Bei zunehmender Marienverehrung kam in der Barockzeit der Bildtypus der göttlichen Schäferin auf. Eine göttliche Schäferin aber klingt komisch und vielleicht hatte sie sich deshalb auch nicht weiter verbreitet. Aber letztlich wundert das Bild der göttlichen Schäferin für Maria nicht, da wir in unserer Kirche auch sonst viele dieser Analogien haben und sie sogar feiern, wie etwa: Christi Geburt – Mariä Geburt, Christi Himmelfahrt – Mariä Himmelfahrt, Herz Jesu – Herz Mariä, Christkönig – Maria Königin, usw.

Wenn ich in unser Gotteslob oder ältere Gebetbücher schaue, dann komme ich auf über 100 marianische Anrufungen und Titel. Manche Christinnen und Christen fragen vielleicht zurecht: Braucht es das? Ist das nicht eine Übertreibung und Überhöhung? Muss alles, was für Jesus gilt auch auf Maria zugeschnitten und angepasst werden?   

In einer Predigt in einem Wallfahrtsort habe ich mal gehört, wie gut es ist, dass Maria so viele Titel hat. Denn dann kann jede und jeder für sich das passende aussuchen. Wenn etwa Gläubige traurig oder in Schwierigkeiten sind, so fühlen sie sich im Gebet bei der „Trösterin der Betrübten“ oder der „Knotenlöserin“ besonders aufgehoben. Oder einmal erzählte mir jemand, dessen Mutter verstorben war, dass er in Maria eine neue und andere Art von „Mutter“ gefunden hatte. Oder wir wissen etwa von den Habsburgern bzw. von Christen aus dem Adelsstand, denen es wichtig war, dass Maria so viele königliche Anrufungen hat. Und so gibt es viele Beispiele, die hier angeführt werden können. Hinzu kommen dann auch die verschiedenen Akzente die an den Wallfahrtsorten gesetzt werden. Im französischen Lourdes gibt es einen stärkeren Bezug zu Maria als „Heil der Kranken“. Im chinesischen Wallfahrtsort Sheshan/Shanghai wird Maria aufgrund der Christenverfolgung als die große „Hilfe der Christen“ verehrt. Oder schauen wir auf das portugiesische Fátima, wo auf ihr großes unbeflecktes Herz gesetzt wird. Ich denke Maria braucht die vielen Formen und Titel nicht. Doch wir dürfen annehmen, dass sie sich über die Menschen freut, die aus aller Welt so kreativ waren und sind, um ihr Vertrauen entgegen zu bringen. Es braucht uns keine Sorgen bereiten, dass sie ein „Zuviel“ an Verehrung innehat oder auf einmal die Stelle Gottes einnimmt. Wir können dem dreieinigen Gott nichts wegnehmen, denn der Heilige Geist und unsere Kirche sorgen dafür, dass dies nicht passiert. Auch Christen anderer Kulturen und Erdteile wissen, dass Maria nicht als Göttin angebetet wird. Der Heilige Geist, der in den Gläubigen wohnt, hilft in dieser Unterscheidung.

Und neben den bewährten Gebeten, Anrufungen und Liedern sind auch in unsere Zeit neue Rufe und Gebete entstanden. Im Gotteslob Nr. 10, 2 finde ich beispielsweise Maria als „Schwester im Glauben“. Vielleicht ist dies in ökumenischer Sicht auch mal eine Weise so auf Maria einzugehen oder sie zu betrachten.

Mir schenken jedenfalls die biblischen Aussagen und vielen Zeugnisse in der Verehrung von und über Maria die Gewissheit, dass sie sich über uns – wie ein guter Hirte oder eine gute Schäferin – sorgt. Ja, sie will einfach helfen das Frauen und Männer, Jugendliche und Kinder näher zu Gott finden.

Vielleicht findet sich in diesen Tagen auch bei Ihnen eine Gelegenheit, der Mutter Jesu einen Gruß zu senden und ihr die verschiedensten Anliegen anzuvertrauen.

Einen gesegneten Tag,

H. Liesen, Kaplan