Nadeschda Iwanovna G. war 18 Jahre alt, als sie von Russland nach Deutschland und schließlich nach Wuppertal-Langerfeld verschleppt wurde. Es war die Zeit des Faschismus, des Nationalsozialismus in Deutschland. Dieses rassistische, von der Vorstellung eines arischen Herrenmenschen geprägte System verachtete Menschen anderer Kulturen und Nationalitäten als minderwertig.

Nadeshda Iwanovna G. erfuhr dies am eigenen Leib, aber am eindrucksvollsten sind ihre Worte selbst:

Wir haben im Lager Espenlaub gewohnt, es lagt auf dem Gelände vor dem Werk Nr. 2. Das Lager wurde ganztags von bewaffneten Soldaten  bewacht und es wurde von einer 3 Meter hohen Mauer mit elektrisch geladenen Stacheldraht umgeben. Bis zum Arbeitsplatz (Werk 1) war die Entfernung etwa 3 km. Zum Arbeitsplatz und zurück marschierten wir in 4er-Reihen unter der Aufsicht von bewaffneten Soldaten. Wir haben in den Holzbaracken – 25 Mann in jedem Raum – gewohnt. Wir haben Zwei-Etagen-Pritschen geschlafen. In den Räumen gab es Öfen, aber wir hatten nicht um zu heizen. Im Lager gab es 25 Baracken und ganztägig konnte man die „Banja“ (Waschraum/Duschraum) benutzen. Morgens, nach dem Aufstehen, haben wir Möhren-Tee bekommen. Wir haben zweimal am Tag zu Essen bekommen, mittags um 12.00 Uhr in der Fabrik und abends um 19.00 im Lager- Für das verdiente Geld konnten wir im Lager-Laden nur Limonade und dunkles Bier kaufen, weil es keinen „Schwarzhandel“ im Lager gab. Sonntags haben wir nicht gearbeitet, manchmal konnten wir das Lagergelände verlassen. Wir hatten keine Möglichkeit, eine Kirche zu besuchen, weil es in der Umgebung keine orthodoxe Kirche gab“

Erfahrungen einer jungen Frau, die vor mehr als 75 Jahren in Langerfeld als eine Art von Sklavin gehalten wurde. Sie war keine Einzelfall. Tausende ost- und westeuropäische Zwangsarbeiter*innen mussten alleine in Langerfeld für ihre Herren und für die Kriegswirtschaft schuften, dazu kamen noch mehrere tauschend Kriegsgefangene. Die Lager des Werkes Espenlaub waren zwar mit die größten in der Umgebung, aber bei weitem nicht die einzigen. Lager gab es auch an der Kohlenstraße, im Höfen, an der Spitzenstraße, Langerfelder Straße, Schwelmer Straße, In der Fleute, Wilhelm-Hedtmann-Straße, Öhder Straße usw., also fast in jeder Nachbarschaft. Heute fast unvorstellbar.

Auf dem Friedhof Zu den Dolinen erinnern Gräber von 99 Zwangsarbeiter*innen an diese Zeit. Seit einigen Jahren liegt dort auch ein Gedenkstein der katholischen und evangelischen Kirchengemeinde. Es gab sogar eine Zeit, in der sich regelmäßig im November Christ*innen dort versammelten, um die Erinnerung an das Verbrechen wachzuhalten und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, übrigens auch manche sehr junge Menschen. Dann wurde dieses Gedenken eingestellt, auch Gründen der zeitlichen Ressourcenknappheit. Vielleicht ist der heutige 8. Mai als 75. Jahrestag der Befreiung Europas vom nationalsozialistischen Faschismus noch einmal ein Ansporn, diese Erinnerungskultur wiederaufleben zu lassen.

Denn gerade als Christen, die an die bedingungslose Liebe Gottes, geoffenbart durch die Menschwerdung, die Botschaft, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, zu allen Menschen glauben, sollten wir mit einstimmen in den Ruf vieler antifaschistisch denkender Menschen: NIE MEHR FASCHISMUS UND RASSISMUS.

Thomas Willms

(Quelle: Speer, Florian (2003): Ausländer im „Arbeitseinsatz“ in Wuppertal. Hrsg. Stadt Wuppertal, S. 351)

 

Versöhnungsgebet von Coventry

Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.

(Röm. 3,23)

Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse:

Vater vergib!

Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist:

Vater vergib!

Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet:

Vater vergib!

Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der Anderen:

Vater vergib!

Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge:

Vater vergib!

Die Gier, die Frauen, Männer und Kinder entwürdigt und an Leib und Seele missbraucht:

Vater vergib!

Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott:

Vater vergib!

Seid untereinander freundlich, herzlich, und vergebt einer dem anderen, wie Gott euch vergeben hat in Christus!

(Eph. 4, 32)