Nicht an Wolle oder Fleisch interessiert

Meine Großeltern hatten eine Jesusfigur mit einem Schaf auf der Schulter im Nazarenerstil. Als Kind hatte mich diese Statue fasziniert, weil es neben der Krippe und dem sterbenden Jesus am Kreuz einfach mal eine andere Jesus-Darstellung war. Natürlich wusste ich damals noch nichts vom guten Hirten aus dem Johannesevangelium oder dem Gleichnis vom verlorenen Schaf. Ich wusste nur, dass Hirten zur Krippe gehören.

Ich schreibe Ihnen dies, weil wir morgen den „Sonntag des guten Hirten“ feiern. Zugleich ist er auch der Weltgebetstag für geistliche Berufe.

Ich finde die Selbstaussage Jesu als „Ich bin der gute Hirt“ (Joh 10, 11) sehr sympathisch. Dieser Titel klingt unpolitisch und nicht so abgehoben, wie „König“ oder „Richter“. 

Und was ein Hirte oder eine Hirtin (Schäfer oder Schäferin) ist, wissen bereits viele Kinder, auch wenn dieser Beruf fast ausgestorben ist. Denn in manchen Kinderbüchern gibt es ihn noch. Oder wenn die Tierwelt in den Kitas oder Grundschulen thematisiert wird, dann findet dieser Beruf neben dem Bauern und dem Tierarzt noch seine Erwähnung.

Nun, dass sich Jesus auch als Hirte sieht, steht ganz in der Tradition jüdischer Messiaserwartung. Schon König David war ein Hirtenjunge in Bethlehem und regierte später über Israel. Im Orient ist der Hirte ein Bild für den idealen Herrscher, der sorgsam mit allem umgeht und die Hirten-Darstellung war auch in der Urkirche sehr beliebt. In den römischen Katakomben ist diese Bild über 140 Mal zu finden. Auch Papst Franziskus mag wohl dieses Bild, da es auf seinem Brustkreuz stets zu sehen ist.

Der gute Hirt ist jemand, der auf die schönste Weide führt, volle Becher verspricht und das Gefühl eines göttlichen Rettungsschirms durch Schluchten und Tiefen vermittelt. So jedenfalls drückt es Psalm 23 aus. Nirgends ist da die Rede, dass wir Menschen die (dummen) Schafe sind. Gott kann uns ganz gut von Tieren unterscheiden und weiß was wir können und brauchen. Aber wenn er uns seinen Sohn als guten Hirten schenkt, dann um den Menschen die beste Hilfe aller Zeiten zu geben. Denn Gott weiß auch, dass sich viele falsche Hirten und Führer in dieser Welt breitmachen, die alles Mögliche versprechen. Der gute Hirte ist nicht an Wolle oder Fleisch interessiert, sondern an unsere ganzheitliche diesseitige und ewige Existenz, egal wieviel Wolle oder Fleisch wir angesetzt haben oder nicht.

Leider kommt meiner Wahrnehmung nach die Bezeichnung Jesu als guter Hirte in der Glaubensverkündigung eher selten vor. Der Begriff »Hirte« wird im Kontext der Kirche eher eingeengt oder sogar noch überhöht, wenn manche bezüglich von Papst oder Bischof diese als „Oberhirten“ betiteln. Dagegen habe ich das Wort „Unterhirte“ noch nie gehört. Auch wenn das mit den Hirten und den Geistlichen (Pastor: lat. Hirte) so seine Berechtigung haben soll, zumindest ein ober oder unter gibt es bei Jesus nicht. Die Emmausgeschichte zeigt ja, dass er mitten unter den Menschen, neben den Menschen und direkt bei den Menschen sein will. Er hört zu, er weiß den Weg, er drängt sich nicht auf oder gibt neuen Anstoß.    

Aber kann uns der gute Hirte nicht gerade in dieser Zeit der Krise ein tröstliches wie ermutigendes Bild der Hoffnung geben? Wir dürfen gerade jetzt eine gute Hirtin oder ein guter Hirte für andere sein. Für den eigenen Kreis der Familie, Freunde, Nachbarn und darüber hinaus. Unsere Welt ist gerade jetzt dankbar für alle Hirtinnen und Hirten, die andere Menschen mittragen und auffangen, die mithelfen die Scherben aufzusammeln und zu schauen, was der oder die an Notwendigem braucht oder die neue Orientierung und Hoffnung verbreiten. In den Medien wird erfreulicherweise fast täglich von solchen „Hirtinnen und Hirten“ berichtet.  

Einen schönen 4. Ostersonntag,

H. Liesen, Kaplan