Eines der Knackpunkte meiner halb-theologischen Laufbahn war meine Vordiplomsklausur im Fach Christliche Gesellschaftslehre. Sie ist schon einige Jahre her, aber immer noch sehr in meinem Kopf verankert. Zwei Jahre zuvor lernte ich das Leben der Arbeiterpriester Joachim Stobbe und Wilhelm Funken auf der Hilgershöhe kennen. Ein Jahr arbeitete auch ich in einem Industriebetrieb (damals ENKA) im Drei-Schicht-Betrieb. Nach Wiederaufnahme meines Studiums in Bonn betrieb ich meine Forschungen weiter in Richtung Arbeiterpastoral dem Themenfeld „Kirche und Gewerkschaft“. Fundamental im Gedächtnis ist mir dabei ein Satz des – ebenfalls franziskanischen – Arbeiterpriesters Karl Mohring geblieben, der in einem Aufsatz von einem Missionsland Deutschland sprach, allerdings in einem für mich völlig neuen Sinn. Nicht die Kirche solle missionieren, sondern sie solle sich durch die Menschen, insbesondere die einfachen, arbeitenden Menschen, missionieren lassen. Leben lernen durch Leben teilen – das war und ist das Motto der Arbeiterpriester.

Dementsprechend fiel mir die Klausur im Fach Christliche Gesellschaftslehre sehr schwer, zumal der Professor Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) war. Ich kam nicht umhin, ihn wissenschaftlich (so meine ich es noch heute) darzulegen, dass es sein Fach nicht geben dürfte. Okay, damit war die Klausur natürlich ziemlich dahin. Dennoch bin ich noch heute von der Richtigkeit der Wort Karl Möhrings überzeugt – und mein Leben und meine Erfahrungen bestätigen dies immer wieder – ich, und damit auch die Kirche, darf sich missionieren lassen, weil sie Gottsuchende sind.

In diesen Wochen sprechen wir sehr viel von systemrelevanten Berufen und meinen damit die Krankenpfleger*innen, Verkäufer*innen, Dienstleister*innen in den unteren Bereichen, Ärzt*innen usw. Sie leisten tatsächlich einen erheblichen Teil zum Bestehen unserer Gesellschaft in der Zeit der Pandemie und verdienen nicht nur Beifall, sondern meiner Ansicht nach mehr! Ich tue mich etwas schwer mit dem Begriff „Systemrelevanz“, denn damit wird impliziert, dass unser derzeitiges neoliberales, kapitalistisches System unersetzlich bleibt. Nein, der Beitrag dieser Menschen ist weit mehr, es ist mehr als das Fortlaufen eines Hamsterrads. Vielmehr zeigen uns momentan viele Menschen, dass der eigentliche Wert unserer Gesellschaft Humanismus – und entsprechend nach unserem christlichen Verständnis Gottes Liebe zu den Menschen – ist. Relevanz zum Wiedererstehen des Humanismus, des Wiederaufscheinens der Liebe Gottes – das ist das, was ich momentan bei so vielen Menschen um mich herum, ob im Haus des Teilens, im Seelsorgebereich und darüber hinaus erlebe. Deswegen verdienen all diese Menschen Solidarität. Daher ist der Slogan des DGB zum 1. Mai 2020 „Solidarisch ist man nicht allein“ wahr und folgerichtig.

Seien wir – auch als Kirche – solidarisch mit den Menschen, die nicht auf der Sonnenseite der Gesellschaft stehen. Und – es ist keine Einbahnstraße, denn gerade diese Menschen lehren und zeigen uns vieles von den Werten, die wir als christlich und göttlich empfinden.

Das ist eine frohe Botschaft –Gott ist in den Menschen gegenwärtig!

In einem Gebet der Christlichen Arbeiterjugend CAJ heißt es:

Herr Jesus Christus,
wir opfern Dir unseren Tag, unsere Arbeit, unsere Kämpfe, unsere
Freuden und Leiden. Lass uns, wie auch alle unsere Schwestern und
Brüder in der Welt der Arbeit, denken wie Du, arbeiten mit Dir, leben in Dir.

Gib uns die Gnade, Dich mit ganzem Herzen zu lieben und Dir mit allen
Kräften zu dienen. Dein Reich komme in die Fabriken, die Werkstätten,
die Büros und in unsere Häuser.

Gib, dass alle, die heute in Gefahr sind, in Deiner Gnade bleiben, und
schenke den Verstorbenen Deinen Frieden.

Besonders bitten wir Dich für die hart arbeitenden und die leidenden Menschen in dieser Zeit der COVID 19-Pandemie.

Herr Jesus Christus, heilige uns und unsere Familien.

Herr Jesus Christus, Dein Reich komme durch uns und unsere Arbeit.

Seliger Marcel Callo, Märtyrer der Arbeiterjugend, bitte für uns.

Maria, Königin der Apostel, bitte für uns.

Amen

Thomas Willms