Lieber Leser,
in einem bekannten Lied heißt es „Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich, wandle sie in Weite – Herr, erbarme dich.“

Wenn ich unsere Gedanken, die Berichte in den meisten Medien und die Diskussionen in unserem Land in den letzten Wochen verfolge, bekomme ich tatsächlich das ungute Gefühl, dass wir die gedankliche Weite verloren haben, die uns eigentlich von unserem Wesen her als katholische – universale – Kirche ausmachen sollte.

So diskutieren wir leidenschaftlich über das Tragen von Mund- und Nasenschutz, über die Öffnungen von Schulen und Kitas, über 800 Quadratmeter, über die Wiederzulassung von öffentlichen Gottesdiensten und und und…..Ja, das alles sind wichtige Themen, zumindest dann, wenn wir den Schutz und die Gesundheit der und des Nächsten im Blick haben.

Dennoch – wussten Sie zum Beispiel, dass der nigerianische Priester Patrick Asomugha seine Pfarrei im Bistum Speyer fluchtartig verlassen musste, weil er rassistisch angefeindet wird und Morddrohungen erhält. Ja, hier in Deutschland. Das Bild in unserer Gesellschaft hat sich in vielfacher Weise verändert. Wir stehen geduldiger vor den Geschäften, wir halten Abstand zu einander (kann auch angenehm sein, wenn der Andere sich nicht gewaschen hat…). Aber manches scheint sich nicht zu ändern, und dazu gehört der Rassismus in vielen Teilen unseres Landes. Ja, wir müssen uns gegenseitig vor Corona schützen, aber eben auch vor dem menschenverachtenden Rassismus.

An diesem Freitag ist erneuter Welt-Streiktag der Friday-for-Future-Bewegung. Der Klimawandel ist ähnlich wie der Rassismus ein unveränderter Bestandteil unserer Wirklichkeit und gefährdet die Zukunft vieler Menschen auf diesem Planeten. Leider ist auch dieses Thema kaum mehr im Blick der Menschen, da die Schülerinnen und Schüler nicht auf der Straße sind.
Ja, wir müssen uns gegenseitig vor Corona schützen, aber eben auch vor einer Klimapolitik, die unseren Planeten an den Abgrund drängt.

Ich habe gerade gelesen, dass Friedens- Menschenrechtsaktivist/innen in Kolumbien in diesen Wochen große Angst vor den staatlichen und kriminellen Mörderbanden ihres korrupten Staatssystems haben. Die Quarantäne aufgrund von Corona macht sie zu leichten Zielscheiben potenzieller Mörder.

In Ländern wie dem Kongo liefern sich Ebola und Corona einen Wettkampf, wer die meisten Menschen tötet. Mangelnde Hygienemaßnahmen, Bürgerkriege, diktatorische Zustände und Hungersnöte machen die Menschen dort zu leichten Opfern. Ja, wir müssen uns gegenseitig hier im Land vor Corona schützen, aber wir dürfen die Menschen nicht vergessen, die einen viel schwereren Kampf gegen das Virus, aber eben auch gegen andere menschenverachtende Zustände in ihrer Region, führen müssen.

Vielleicht ein Tipp… lesen sie nicht nur die Inland-Corona-News in unseren Medien, sondern schauen Sie einmal auf die Seiten mit den weltweiten Themen. Wenn wir uns auch im Moment hilflos fühlen, ein kleines Zeichen der Solidarität ist immer auch das Gebet füreinander, z. B. in den Fürbittbüchern, die in unseren Kirchen ausliegen. Am kommenden Sonntag sind unsere Kirchen übrigens wieder offen. Vielleicht kommen wir dann in ein Gespräch – in physischer Distanz von 2 Metern – über das, was im Moment mit oder ohne Corona in Gottes Welt geschieht.

„Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich, wandle sie in Weite – Herr, erbarme dich.“

Thomas Willms